Das Yu-Gi-Oh! TCG lässt schon von jeher ein Phänomen zu, das uns als Spieler, zumindest wenn wir genauer darüber nachdenken, nicht erfreuen kann und das nahezu einzigartig in der Branche erfolgreicher Sammelkartenspiele ist: Staples. Karten, die in jedem Deck vertreten sind. Nein, man kann wahrscheinlich nicht sagen, dass sie in jedem Deck vertreten sind. Viel mehr sind in jedem gemäßigten Build anzutreffen, was extreme Decks – nehmen wir das aktuell erfolgreiche Heavy Burn von Michel Grüner (ja, wenn man ihn mal ausnahmsweise loben kann, dann muss man diese Möglichkeit auch ausnutzen!) – außen vor lässt: von den Karten, die wir als Staples bezeichnen, sind hier nur Graceful Charity und Ring of Destruction eingeschlossen. Hinzu kommen natürlich auch noch jene Leute, die sich aus Prinzip gegen Staples, gegen Meta, gegen alles Gemäßigte stellen und so auch in Control-Builds auf die elementaren Monster-, Zauber- oder Fallenkarten verzichten. Ich kann es ihnen nicht verbieten!


Sehen wir jedoch von diesem Extremitäten ab, die maximal fünf Prozent unseres wettkampffähigen Metagames ausmachen, stecken wir mitten in der Staplewirtschaft: Breaker, Sangan, Magician of Faith, Spirit Reaper, Graceful Charity, Book of Moon, Nobleman of Crossout, Mystical Space Typhoon, Heavy Storm – um nur das äußerste Ende aufzuzählen. Schrauben wir uns auf 80% des Metagames herunter, steigen die Zahlen rasant an und an Namen kommen Zaborg, Cyber Dragon, Treeborn Frog, Pot of Avarice, Ring of Destruction, Mirror Force, Torrential Tribute und Sakuretsu Armor hinzu - in einem gemäßigten Control lassen sich schon all diese Karten als unverzichtbar verzichten. Schon in einer älteren Ausgabe meiner Kolumne habe ich mich der Frage gewidmet, welche Ursachen die Stapleentstehung hat und man hat sie in der mangelnden Teambindung gefunden. Nehmen wir das gerade erst veröffentliche World of Warcraft Sammelkartenspiel als krasses Gegenbeispiel: hier sind schon die Verbündeten (mit der Monstergruppe bei Yu-Gi-Oh! vergleichbar) in zwei Gruppen eingeteilt, um dann weitere 75% der übrig bleibenden Karten auf bestimmte Klassen beschränkt zu sein, von denen man nur auf eine zurückgreifen kann. So hat jede Klasse ihre Karten, die sie in jedem Fall nutzen wird, weil sie in Effektivität die Karten, die für alle Klassen zugänglich sind, weit übertreffen, während sie auf die spezifischen Bombeneffekte anderer Klasse nicht zurückgreifen kann. Dagegen ist dieses Prinzip bei Yu-Gi-Oh! durcheinandergewirbelt – Thestalos, Cyber Dragon, Breaker, Treeborn Frog gehören alle verschiedenen Attributen (FEUER, LIGHT, DARK, WATER) an, können aber dennoch problemlos in ein und demselben Deck gespielt werden. Um es auf den Punkt zu bringen: jede Karte kann in jedes Deck geworfen werden, woraus letztlich folgt, dass man durch das Zusammenlegen der besten Karten jedes Attributs, jeden Typs die effektivste Mischung hervorgebracht wird. Doch genug der Rekapitualition, denn heute wollen wir uns mit einer anderen Frage beschäftigen: Welche grundlegenden Elemente machen eine starke Karte aus oder, um es direkt auf ein Beispiel zu übertragen: Was macht meinen Cyber Dragon so viel effektiver als meinen Beserk Gorilla?


Rohe Stärke


Viele Faktoren können in die Spielbarkeit einer Karte einfließen, doch die einfache, rohe Stärke einer Karte macht oft jene Karten aus, die sich vom Erscheinen an in eine Staple verwandeln. Beispiele haben wir hier zu Hauf – und meist sind sie auf der Banned List anzutreffen. Beginnen wir bei Harpyie’s Feather Duster und Raigeki, die in einer Karte eine komplette Zone des gegnerischen Feldes aufräumen können. Natürlich könnte man hier auch damit argumentieren, dass diese Karten Vorteil generieren, doch darum geht es in diesem Moment gar nicht, viel eher schaffen sie über ihre unglaubliche Schlagkraft, die mit relativ niedrigen Kosten einhergeht, möglichst viel zu vernichten. Für die beiden schwächeren Abkömmlinge der schon genannten Beispiele – Dark Hole und Heavy Storm – gilt Ähnliches. Schon bei ihnen ist das Potenzial Kartenvorteil zu schaffen, weitaus geringer als bei ihren Vorgängern, dennoch sind sie (bzw. wären sie, wenn sie nicht zum Teil gebannt wären) als Staples einzuschätzen, weil ihre Effekte das komplette gegnerische Feld freiräumen und so vielfältige Optionen schaffen: Vorteil generieren, gegnerische Winoptionen außer Kraft setzen (angreifende Monster im Falle von Dark Hole; Premature Burial, Call of the Haunted oder Burnkarten im Falle von Heavy Storm) oder einfach den Weg frei machen für einen eigenen Finishversuch bzw. Aufbau von Sicherheit.


Die diese Grundlage wohl jedoch am ehesten treffende Karte haben wir bis jetzt außen vor gelassen: Chaos Emperor Dragon – Envoy of the End. Niemand kann mir erzählen, dass er Chaos Emperor Dragon spielt (bzw. im Normalfall spielte), weil er Kartenvorteil schafft. Effektiv kann er zwar Kartenvorteil schaffen, sogar ganze Massen an Kartenvorteil, jedoch nur unter einer Bedingung: dass man sich die komplette Menge aufzuholenden Nachteil vorher schon „erspielt“ hat – immerhin setzt er das Spiel direkt auf 0 zurück (oder alternativ die gegnerischen Lebenspunkte auf 0). Ihm gelingt es also, eine vollkommen negative Situation wieder (von den Lebenspunkten abgesehen) in einen Gleichstand zu versetzen, während er nebenbei auch noch als ein Beatstick, der 3000 Punkte Schaden zum lächerlichen Preis von zwei aus dem Friedhof zu entfernenden Monstern verursacht, daher. Kombinert mit dem Lebenspunkteschaden in einem ungleichen Verhältnis (1000:x), den sein Effekt hervorrufen kannen, lässt sich klar sagen, dass Chaos Emperor Dragon eine Karte ist, die ihrer „rohen Stärke“ wegen gespielt wurde.


Auch wenn wir schon bei unserem ersten Punkt feststellen konnten, dass die Grenzen der Effektivität oft fließend sind, dass sich Staples oftmals schon dadurch auszeichnen, dass sie mehrere elementare Grundsätze in sich vereinen, wollen wir fortfahren – mit der Idee des Kartenvorteils.


Kartenvorteil


Ressourcenvorteile zu erspielen ist in jedem Spiel mit einem dominierenden Control-Element der einfachste Weg zum Sieg, wenn auch der reine Vorteil selten Spiele gewinnt, sondern stattdessen sein Resultat: vollkommen Kontrolle über die gegnerischen Optionen, letztlich für den Sieg sorgt. Der einzig wirklich deutliche Ressourcenvorteil, der beim Yu-Gi-Oh!-TCG erreichbar ist und dementsprechend höchste Wichtigkeit einnimmt, ist Kartenvorteil im Allgemeinen, sei dieser jetzt durch dauerhafte Hand- oder Feldkontrolle oder im Ausnahmefall beides gesichert, während Lebenspunkte normalerweise nur dazu dienen, das Endergebnis festzustellen und wenig Einfluss auf den Spielverlauf haben. Beim Thema Kartenvorteil angelangt haben wir nur noch wenige Karten, die diesen noch ungebannt generieren können, dagegen finden wir die meisten Genossen dieser Strategie auf der Banned List wider, sei es Delinquent Duo, Pot of Greed oder Black Luster Soldier – Envoy of the Beginning. Nur mit Pot of Avarice haben wir noch eine vielgespielte Karte (metagamebedingt verzichten wir hier auf die näheren Ausführungen zu Salvage, Kräfte der Finsternis usw.), die bei ihrem Ausspielen direkten Kartenvorteil generiert, doch auch hier mit Kosten verbunden, die sie zu einem Death Draw im Early Game, doch zu einem Topdeck im späteren Spielverlauf machen. Ähnliches gilt für Mirror Force und Torrential, deren Effekte jedoch eine Mischung aus Potenzial für Kartenvorteil und roher Stärke darstellen und somit ein Zwischending aus beiden Elementen bilden.


Zu Staples etablieren sich jedoch auch Karten, die erst durch Kombination Kartenvorteil schaffen, die es selbstverständlich noch zu Hauf gibt. Nehmen wir nur Graceful Charity: als wäre die Karte als Cycler nicht schon effektiv genug, mit Night Assailant, Treeborn Frog oder einem Dark-World-Monster gelingt es ihr, eine oder mehr Karten Vorteil zu schaffen. Und wo wir schon bei dem Baumfrosch sind, darf natürlich auch die Kombination mit mehreren Monarchen nicht außer Acht gelassen werden, die hier ebenso wie das Opfern eines FLIPP-Monsters Kartenvorteil schafft. Für Creature Swap zusammen mit Swarmern oder dem vielseitigen Überfrosch gilt das gleiche. So entstehen Staples eben auch – als Karten, deren Zusammenwirken Kartenvorteil generiert.


Flexibilität


Für diese Gruppe an Karte bietet sich ein Beispiel perfekt an, das schon immer von sich Reden gemacht hat: Enemy Controller. Ich will nicht so weit gehen, Enemy Controller als Staple zu bezeichnen (was die Karte in meinen Augen nicht ist), auch wenn sie Bestandteil von deutlich mehr als 50% der im Metagame erfolgreichen Decks ist. Dennoch ist Enemy Controller ein Inbegriff für Flexibilität. Bei Weitem ist Enemy Controller keine Karte, die Vorteil entwickelt, sehen wir mal von der Idealsituation: opfere Frosch, übernimm ein gegnerisches Monster, tributiere für Thestalos ab – im Normfall wird Enemy Controller nicht ständig diesen Zweck erfüllen. Dafür kann die Karte anderes: Monster auf die Kette an Mirror Force oder Smashing Ground zu übernehmen, während das eigene Monster in jedem Fall drauf gehen würde, kann so auch noch eine gegnerische Kreatur mit in den Tod gerissen werden. Spirit Reaper kann zerstört werden, bevor er Kampfschaden anrichtet und so eine Handkarte wegzieht, an die Effekte von Breaker und Mobius kann gekettet werden, um den entstehenden Nachteil in Grenzen zu halten und die Möglichkeit offen zu lassen, diese Monster im Kampf zu zerstören. Ein finaler gegnerischer Großangriff kann durch die Übernahme des stärksten Monsters für einen Zug aufgehalten werden, während auch ein eigener Finishversuch durch die Übernahme eines großen gegnerischen Attackers stark erleichtert werden kann. Und im Extremfall ist selbst davon nmicht abzusehen, dass ein Angreifer, der die eigenen Lebenspunkte ins Negative oder nahe 0 drücken würde, wenn auch Kartennachteil schaffend, in die Defensive gedreht werden kann.


Nahezu jede dieser Nutzungsmöglichkeiten schafft keinen Vorteil, hat aber eine andere Aufgabe: Finish-Option, Feldkontrolle, Schutz. Es gibt schlichtweg kaum eine Situation, in der ein Enemy Controller überflüssig wäre, in der er nicht für einen bestimmten Zweck perfekt geeignet wäre – seine Flexbilität ist von anderen Karten bisher unerreicht. Doch zurück zu den Staples – auch hier gibt es genug Karten, die dieser Aufgabe nachkommen – angefangen bei Cyber Dragon, der durch seinen Special-Summon-Fähigkeit jeglichen anderen Beatstick an Qualität übertrifft, über Book of Moon, das ähnliche Nutzen wie Enemy Controller verfolgen kann, allerdings auch andere Einsatzgebiete (Flipps bspw.) hat, bis hin zu Ring of Destruction, der jegliche Bedrohung auf der gegnerischen Spielfeldseite lahmlegen kann und gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende Winoption darstellt (und somit auch zum Teil unter „rohe Stärke“ zu rechnen wäre). Ebenso in diesen Bereich einzurechnen ist Graceful Charity, die zwar nicht verschiedenen Zwecken dienen kann, aber zu jedem Zeitpunkt einsetzbar ist und nie eine Verschlechterung der eigenen Situation bedeutet (ich sehe schon den ersten kommen, der hier anmerkt, dass auch sie zum Deathdraw mutieren kann, wenn man nur noch über zwei Deckkarten verfügt), den Spieler dagegen cyclen und somit seine Hand aufbessern lässt.


In diese drei Übergruppierungen kann man die Staples eines Controls aufteilen. Warum? Weil diese drei Aufgaben die Hauptziele eines Controls darstellen. Würde man versuchen, die Staples eines Burners aufzuzählen, müsste man dagegen andere Maßstäbe anlegen. Auf welche zentralen Pfeiler stützt sich diese Deckart? Hier lässt sich Schutz als wichtiger Faktor vermerken, wie auch Schadenspotenzial, also die Möglichkeit, den Gegner anders als über Angriffe auf 0 Lebenspunkte zu bringen, eine große Rolle spielt.


Staples sind dementsprechend von der Deckart abhängig, in nicht exotischen Deckarten oder kurz in Controls, die noch immer mehr als 80% unseres konstruktiven Metagames stellen, setzt sich ihre Effektivität allgemein aus einer Mischung von Flexibilität, Chancen auf Kartenvorteil und roher Stärke zusammen. Dementsprechend klar ist für uns, dass ohne einen Reset des Spiels immer eine Staplewirtschaft vorherrschen wird, weil im Yu-Gi-Oh!-TCG keinerlei Teambindung existiert (bzw. jede Karte, die temagebunden sind, ironischerweise im Normalfall ohnehin schlecht bis unspielbar ist).


Doch genug dieses Themas, nächste Woche wollen wir näher auf die Mathematik im Spiel eingehen!


Gobbo


Antworten 10

  • Artikel ist nicht schlecht, erzählt wird jedoch leider nichts neues ^^


    Was noch interessant gewesen wäre (für mich ^^), wäre eine Aufstellung, welche Karten früher und heute Staples sind, d.h. ein direkter Vergleich z.B. MoF war immer Staple seit Erscheinen oder eben erst nachdem gewisse Editionen erschienen sind etc. :D

  • Auch mir gefällt der Artikel sehr gut. Was mich nur immer mehr stört sind die ganzen englischen Begriffe.. Ich weis, dass es 'cooler' klingt und daher eh jeder denglisch spricht, aber vllt. schafft ihr Artikelschreiber ja die deutsche Sprache wieder populär zu machen, schließlich gab es mal eine Zeit wo Deutsch DIE Sprache war! Es ist ja auch nicht so, dass die englischen Worte Fachworte sind, für die es keine dt. Bedeutung gibt.


    z.B. muss nicht die ganze Zeit von Grace und Heavy Storm, Treeborn Frog blablablubb geredet werden. Allein im ersten Abschnitt sind 13 englische Worte drin, was nicht wirtklich auffällt. Wenn man dann aber mal beim 2. Abschnitt zu zählen beginnt, hat man schnell die 50 durchbrochen! ..und das ist einfach zu viel!


    Naja, ihr könnt ja mal drüber nachdenken..


    MfG

  • Sehr guter und informativer Artikel :deal: zu einem interressanten Thema!
    Weiter so!
    :daumen:

  • Guter Artikel :)
    Aber son Vergleich wär echt mal schön gewesen. Hoffentlich kommt nächste Woche wieder son guter Artikel (das Thema klingt nicht schlecht).

  • Stimmt , so ein direkter Vergleich von früher bis heute wäre nicht schlecht gewesen.
    Aber mal interessant zu hören wie sich das Spiel mit den Staples entwickelt hat .
    Sehr informativ und gut ausgedrückt , bin schon auf den nächsten Artikel gespannt .


    ^^ Grüsse alle die Yu-Gi-Oh! spielen ^^

  • cooler artikel mal wieder auf den punkt und passend zu den heutigen decks. du machst die besten artikel geile idee dass du dami tangefan hast greetz an united gosus

  • Toller artikle und er zeigt eindeutig die situation die jetzt herscht.

  • Du hast es genau auf den Punkt gebracht....
    Gut zu lesen :daumen:

  • Super Artikel, gut geschrieben und interessant : )

  • wa ma wieder geil gobbo

  • Diskutieren Sie mit!